Josh
Ich lag mit
offenen Augen im Bett und starrte zur Decke. Heute war der große Tag, Out Now!
hatte seinen ersten großen Auftritt in der Stadthalle. Den Wecker hörte ich nur
am Rande und auch, dass er schnell wieder verstummte. Die warme Hand auf meiner
Brust brachte mich in die Realität zurück.
„Guten Morgen,
mein Schatz.“ Florian lächelte mich verschlafen an.
„Guten Morgen,
Flo.“ Ich griff nach seiner Hand.
„Du bist nervös,
oder? Dein Herz klopft ziemlich schnell.“
„Da werden über
400 Menschen sein. Das sind ... eine ganze Menge.“
Er zog mich in
seine Umarmung und küsste meinen Hals.
„Du schaffst das
schon. Ihr seid alle echt gut und Deine Stimme ist der Hammer. Was soll da noch
schief gehen? Ich bin ja auch noch da, hinter der Bühne und werde Dich
unterstützen.“
„Weißt Du, vor
nicht langer Zeit, da war ich noch ein unglücklicher Hetero. Und jetzt stehe ich
kurz vor einem gewaltigen Outing, im gesamten Landkreis, mit den anderen
zusammen. Das ging alles so schnell. Ich kann froh sein, dass ich noch keinen
Herzkasper vor Aufregung hab“, grinste ich.
„Unmöglich“,
grinste er, „dafür bist du eindeutig zu jung und gesund.“
Meine Finger
spielten mit seinen und schlossen sich noch ein wenig fester um sie. „Du hast
glücklich vergessen.“
Er belohnte mich
mit einem Kuss, kurz bevor er mir mit dem Zeigefinger der freien Hand in die
Rippen piekte.
„Du musst
aufstehen, sonst kommen wir am Ende noch zu spät.“
„Und was ist mit
Dir?“, beschwerte ich mich.
„Ich warte auf
den Kaffee“, grinste er zurück.
„Alter
Sklaventreiber!“ Ich revanchierte mich mit einem Gegenpiekser.
Er lachte auf
und quälte sich dann aus unserer Umarmung.
„Na gut, ich geh
schon mal ins Bad. Wärst du so lieb und bereitest deinen leckeren Kaffee vor,
Schatz?“, flötete er zuckersüß.
„Na geht doch“,
zwinkerte ich ihm zu.
Damit war die
Kuschelstunde endgültig beendet und wir rafften uns auf.
Dominik
Mehrere, sehr
brutal geführte, Hammerschläge trafen meinen Kopf. So in etwa fühlte sich das
zumindest an. Ich wachte einsam und verlassen in Peters Bett auf, mit dröhnenden
Kopfschmerzen und ein Abbruchkommando tobte mit infernalem Lärm durchs Haus. Ich
seufzte kurz gequält auf. Scheinbar wohl zu laut, denn sofort flog die Tür auf
und knallte ohrenbetäubend an die Wand. Peters Kopf tauchte auf und sah mich
entschuldigend an.
„Sorry, die
Hektik von Alex ist ansteckend. Hast du Kopfweh?“
Ich setzte meine
überzeugendste Leidensmine auf und nickte leicht, was ich jedoch gleich wieder
bereute.
Peter lächelte.
„Okay, hab ich mir schon gedacht. Du hast gestern etwas zu heftig vorgefeiert.“
Wie durch
Zauberei hielt er plötzlich ein Glas in der Hand, mit einer trüben und
sprudelnden Flüssigkeit. Er überwand mit ein paar schnellen Schritten die zwei
Meter zum Bett und küsste meine Stirn. „Hier, trink das, dann geht es dir bald
besser.“
Im Nebenzimmer
knallte es. Entweder war etwas umgefallen, oder Alex war geplatzt. Eigentlich
war mir das im Moment egal, es fühlte sich wieder wie ein Schlag mit dem
Schmiedehammer an. „Shit!“ tönte es mit Alex Stimme durch die Wand. Also dann
war er wohl nicht explodiert.
Peter blickte
mitleidig auf mich herab.
„Ich werde
meinem Brüderchen mal wieder helfen und ... versuchen ihn zu beruhigen. Bis
gleich.“
Er deckte mich
fürsorglich zu und gab mir einen weiteren Kuss. Noch bevor er die Tür schließen
konnte, dröhnte ein geschrieenes „ALEX!“ nach oben. Doros Stimme entfaltete
dabei die Kraft einer Atomexplosion. Mein Paps redete, zwar deutlich leiser aber
hörbar, beschwichtigend auf sie ein. Vermutlich war in einem der Drinks ein
Hunde-Gen-Mix enthalten und hatte die Empfindlichkeit meiner Ohren auf ein
unerträgliches Maximum erhöht.
Im Nebenzimmer
wurde es jedoch angenehm ruhig. Peters Stimme drang leise aber energisch durch
die Wand und befahl Alex sich hinzusetzen. Dann hörte ich Schritte auf der
Treppe, stark und gleichmäßig, so bewegte sich eigentlich nur Paps. Zeitgleich
öffnete sich die Tür vom Nebenzimmer und wesentlich leichtere Schritte,
eindeutig Peter, bewegten sich auf Paps zu und trafen sich vor meinem Zimmer.
Ich kam mir vor wie ein Superheld und musste, wenn auch widerwillig, grinsen.
Peter zischte
ein leises ‚Pssssscht’ und ich konnte beinahe fühlen, wie beide nickend auf
meine Tür starrten. Peter bewegte sich dann leise nach unten und Paps schlich
behutsam zu Alex. Die Bodendielen knarrten. Die ganze Situation war einfach
absurd und der Krach nervtötend. Grummelnd kämpfte ich mich aus dem Bett,
wickelte mich in die Bettdecke und stiefelte ins Bad.
Kurz darauf
flogen die Bettdecke und meine Shorts in die Ecke und kaltes Wasser prasselte
auf mich herab. Vor lauter Ärger über den Lärm hatte ich die Kopfschmerzen
völlig vergessen und selbige hatten sich in Luft aufgelöst. Nur fünf Minuten
später, nach ausgiebiger Mundhygiene, gegen den ranzigen Pelzgeschmack auf der
Zunge, verhüllte ich mich wieder mit der Bettdecke und stiefelte zurück ins
Zimmer, wo ich mir frische Klamotten aus dem Schrank fischte.
Ich entschied
mich für meine schwarze Lieblingsjeans, ein weißes Shirt und eine taillierte
schwarze Weste. Grinsend streifte ich noch meine Snoopysocken über die Füße und
tappte nach unten in die Küche. Peter erwartete mich schon und zog mich
energisch auf einen freien Stuhl. Er zauberte eine Tasse mit Kaffee, ein
Schinkenbrötchen mit ganz viel Butter, so wie ich es mochte und ein
XL-Frühstücksei auf den Tisch. Schon war er wieder weg und hantierte an der
Saftpresse herum, die gerade gierig vier Orangen verschlang.
Ich beobachtete
seinen süßen Hintern, der durch die enge Jeans wunderbar betont wurde, und mir
fielen spontan viele Dinge ein, die ich gerne mit ihm angestellt hätte. Peter
drehte sich um und bemerkte meinen verträumten Blick. Ich wurde rot und er
stellte grinsend ein Glas mit O-Saft vor mir ab, bevor er sich dann, endlich,
mit einer Tasse Kakao neben mich setzte. Seine Lippen näherten sich meinem Ohr
und der warme Atem kitzelte mich.
„Was immer du
auch gerade gedacht hast, heute Abend wäre eine gute Gelegenheit.“ Seine Zähne
neckten mein Ohrläppchen und es kribbelte in meinem Bauch ... und darunter.
„Allerdings nur dann, wenn du jetzt brav frühstückst und heute Abend nüchtern
bleibst.“
„Das ist
Erpressung!“ Meine Stimme war heiser und rau.
„Nö, es ist ein
Versprechen.“
Grinsend rückte
er ein bisschen ab und schlürfte genüsslich an seinem Kakao.
Mit der trauten
Zweisamkeit war es dann aber bald vorbei, als nach und nach Doro, Paps, Alex und
Linda in der Küche erschienen und die Zeiger der Uhr sich unaufhaltsam in
Richtung Abfahrt bewegten.
Florian
Josh hatte ein
wirklich leckeres Frühstück zubereitet, während ich mir den Schlaf aus den
Knochen duschte. Die Schulter schmerzte heute wieder etwas. Seit sich bei dem
Unfall eine Muskelgruppe verhärtet hatte kam dieses öfters Mal vor. Aber Josh
kümmerte sich, in der Regel, mit einer entspannenden Massage darum. Nur heute
musste es warten. Mein Schatz schob sich eilig an mir vorbei und hüpfte selber
unter die Dusche. Kommissar Grüner, beziehungsweise Manfred, wie wir ihn
neuerdings nennen durften, hatte sich einen kleinen zivilen Bus seiner
Dienststelle ausgeliehen und würde uns bald abholen.
Das Konzert war
zwar erst am Abend, aber die Jungs hatten natürlich eine Menge vorzubereiten und
sie wollten sich zudem warm spielen. Die Presse würde vor Ort sein, also hatten
wir auch mit Interviews zu Rechnen. Wir hofften allerdings, dass wir unsere
Beziehung weitestgehend geheim halten konnten. Auch Baumann war wegen der
Schüler-Lehrkörper Thematik recht verhalten. Es würde schon irgendwie schief
gehen.
Ich schob diese
Gedanken beiseite und biss lächelnd in das Backbrötchen. Josh ging bemerkenswert
tapfer mit der Situation um, vom heutigen Lampenfieber mal abgesehen. Die
Erinnerung an unsere Anfänge drängte sich mir in den Kopf, seine Unsicherheit,
die Mutlosigkeit bis hin zur Selbstaufgabe und der wackelige Notenstand in
einigen Fächern. Jetzt war er kaum noch wieder zu erkennen. Die schulischen
Leistungen waren mittlerweile erstklassig und das neue Selbstbewusstsein
strahlte in seine äußere Schönheit hinein.
Das Geräusch der
Badezimmertür drang in meine stillen Gedanken und Josh huschte an der Küche
vorbei, nicht ohne mir einen liebevollen Blick zu schenken. Meine Augen sogen
jedes Detail von ihm auf, das weiße flauschige Handtuch um seine leicht
gebräunten Hüften, den vom Duschen erhitzen Körper und seine schwarzen Haare,
die noch leicht feucht und wirr von seinem Kopf abstanden.
Kurze Zeit
später flitzte er wieder ins Bad und brachte seine Haare in Form. Dann stand er
vor mir und ich musterte ihn. Eine hellblaue Jeans, die seinen Hintern extrem
gut betonte und ein enges, grau-blaues Shirt, welches ich gerne an ihm sah, da
es immer etwas von seinem Bauch preisgab, wenn er sich streckte.
„Kann ich so
gehen?“
„Du siehst zum
Anbeißen aus, Liebling“, nickte ich anerkennend.
„Danke.“
Er lächelte
erleichtert. „Alex hat eben geschrieben. Sie werden in ungefähr dreißig Minuten
hier sein. Also müssen wir Gas geben.“
Wir beendeten
das Frühstück und schnappten uns noch etwas zu trinken, für unterwegs. Eine
halbe Stunde nach der SMS standen wir pünktlich vor der Tür und warteten. Josh
war wieder deutlich nervös und ging ein Stück auf die Straße, um die leichte
Kurve besser einsehen zu können.
Hinter seinem
Rücken heulte ein Motor auf und ein schwarzer Golf näherte sich mit erhöhter
Geschwindigkeit. Der Fahrer fuhr deutlich auf der Gegenspur und hielt auf Josh
zu. Zeitgleich ertönte aus der Kurve eine Hupe.
Luka
„Guten Morgen,
mein Schatz!“
Hendrik hatte
eine Tasse Kaffee auf meinen Nachtschrank gestellt und war gut gelaunt. Seit
meinem Outing bei Mum und Dad konnte er schließlich auch bei mir schlafen.
Seither war er
auch deutlich unverkrampfter, so dass wir uns näher waren, als je zuvor. Das
hatte den positiven Nebeneffekt, dass meine Lust auf Domis unverbindliche und
lockere Leidenschaft verebbt war. Das hatte ich jetzt auch, zusammen mit dem
Gefühl wahrer Liebe und Zusammengehörigkeit.
Und das alles
durch die Band, den Wahnsinn an der Schule und den vorbildlichen Harmoniedrang
von Baumann und Leuten wie Alex. Out now, wie passend. Ich lachte auf.
„Ach Süßer,
hätte ich nur vorher geahnt, wie einfach und schön es schon lange hätte sein
können. Ich muss dir wirklich danken, dass du trotzdem zu mir gehalten hast.“
Hendriks Gesicht
färbte sich rötlich und ging nahtlos in ein freches Grinsen über.
„Ihr alten
Knacker braucht wohl einfach ein bisschen länger, bevor ihr was kapiert.“
„Herr van Baas,
spüren Sie nun die geballte Übermacht der zwei Jahre Unterschied!“
Mit einem
Kampfschrei riss ich ihn zu mir auf die Matratze und startete eine unerbittliche
Kitzelattacke. Hendrik schnappte schon bald nach Luft, als er vor lauter Lachen
kaum noch zum Atmen kam. Doch das Spiel fand ein abruptes Ende, als ein heftiges
Klopfen die Stimme meiner Mutter begleitete.
„Jungs, ich will
nicht wissen was ihr da treibt, aber beeilt euch, sonst kommt ihr zu spät zum
Treffpunkt. Und wollte Hendrik nicht vorher noch kurz nach Hause?“
Ich erschrak
beim Blick auf die Uhr.
„Oh shit“,
flüsterte ich. „Mum, du kannst ruhig reinkommen, wir machen nix.“
Ich konnte ihren
Tonfall nicht richtig deuten und befürchtete, dass sie vielleicht doch ein
Problem mit mir hatte.
Sie öffnete die
Tür und trat grinsend ein.
„Na dann, ich
hätte mir sonst was überlegen müssen, wenn ihr nachts auch so laut wärt.“
Hendrik und ich
sahen uns ziemlich verlegen an, dass Thema war irgendwie peinlich.
„Und mach bitte
das Fenster auf, es riecht hier wie in einem Raubtierkäfig“, fügte sie hinzu und
verließ uns schmunzelnd.
„Du wildes,
animalisches Raubtier, friss mich!“, kicherte Hendrik.
Ich knurrte
gespielt und gab ihn wieder frei, damit meine Hand zur Tasse konnte und der
Kaffee in meinen Magen.
Eine viertel
Stunde später standen wir frisch geduscht und vollständig angekleidet in der
Küche, wo meine Mum uns noch ein kleines Fresspaket für die Fahrt in die Hand
drückte.
Bald darauf
saßen wir in meinem Diesel und fuhren los.
Es dauerte auch
nicht lang, da parkte ich bereits vor dem Anwesen der Familie van Baas, eine
schmucke kleine Villa im Jugendstil. Sie war seinerzeit relativ
renovierungsbedürftig und Hendriks Eltern konnten sie bei einer Zwangsauktion
ziemlich günstig ersteigern. Er hatte mir erzählt, dass sie fast anderthalb
Jahre daran arbeiten mussten, bis sie wieder in einem perfekten Zustand war. Der
Vorbesitzer hatte sie völlig zugemüllt und verwahrlost hinterlassen, als die
Stadt, wegen einer hohen Summe an ausstehenden Steuern, die Räumung veranlasste.
In eben diesem
Haus verschwand er auch und besorgte sich seine Glücks-Bassgitarre. Dann saß er
auch schon wieder bei mir und seine Mutter winkte uns von der Tür aus nach. Als
ihr zukünftiger Schwiegersohn hatte ich ziemlich gute Karten, wir mochten uns.
Wir fuhren durch
die Stadt, in Richtung Autobahn, als uns plötzlich zwei Polizeiwagen und ein
Rettungswagen schnitten.
„Du, Luka, das
ist doch die Straße wo Josh und Florian wohnen.“
„Wollen wir noch
eben bei den Beiden vorbei?“
Hendrik nickte
und ich setzte den Blinker. Wir folgten der leichten Kurve und ich trat vor
Schreck auf die Bremse. Der Rettungswagen und die Streifenfahrzeuge parkten vor
Florians Haus. Kommissar Grüner diskutierte wild gestikulierend mit einem
Notarzt, der sich gerade um Simon Warnebrink kümmern wollte, welcher sich mit
ausdrucksloser kalter Miene gegen sein Auto lehnte, dass er gegen die Mauer vor
Florians Haus gesetzt hatte. Dieser lehnte sich gegen einen Transporter und sah
blass aus.
Aber wo war
Josh?
Weiter mit
Teil 12
|